Elke Peters

Elke Peters liest aus Irmgard Keun, Nach Mitternacht:

Vorweg:

Irmgard Keun habe ich durch das Buch von Volker Weidermann „Ostende 1936“ kennengelernt. Dabei  war mir aufgefallen, dass ich alle dort beschriebenen Schriftsteller kannte, nur Irmgard Keun nicht.

Das hat mich angeregt, ihren Roman „Nach Mitternacht“ zu lesen, der in Frankfurt spielt. Hier fand ich den Faschismus mit all seinen Grausamkeiten und Lächerlichkeiten so eindringlich beschrieben, dass ich diesen Text ausgesucht habe.

Ihre Bücher wurden verbrannt. Sie hat dagegen geklagt und Schadensersatz gefordert. Daraufhin von der Gestapo verfolgt, ging sie 1936 ins Exil,  zunächst nach Ostende.

Mit gefälschten Papieren kehrte sie 1940 aus den schon besetzten Niederlanden nach Köln zurück. Sie hatte sich durch das von ihr verbreitete Gerücht “Irmgard Keun beging Selbstmord“ unsichtbar gemacht.

Sie war alkoholkrank und verbrachte entmündigt sechs Jahre in der Psychiatrie.

Erst in den siebziger Jahren wurde sie wiederentdeckt und ihre Bücher neuverlegt. Wirklicher Erfolg aber blieb aus. Sie lebte in sehr armen Verhältnissen und verstarb 1982 in Köln.

 

„Rechts auf der Seite   vom Opernplatz, wo es so parkähnlich ist, hatte sich ein schwarzes Meer von Menschen gebildet, die bewegten sich auf und ab in langsamen Wellen.  Über ihnen schwamm müdes Licht. Auf dem freigelassenen Platz sprangen und rasten erregt einige SS-Leute herum und schwenkten in wilder Aufregung ihre Arme. Danach geschah immer noch nichts.

Manchmal wurden aus dem Meer von Menschen ohnmächtige Frauen  von SS-Männern fortgetragen, dadurch wurde den Leuten in den Logenbalkons das Warten nicht zu langweilig.

Dann glitten auf einmal Autos über die Straße – so weich und eilig wie fliegende Daunenfedern. Und so schön! Nie in meinem Leben habe ich so wunderbare Autos gesehen. Und so viele Autos kamen, so viele! Alle Gauleiter und zugehörigen hohen Parteimänner fuhren in solchen Autos, es war herrlich. Die sind sicherlich alle furchtbar reich. Denn wenn ich an den Franz denke und mir ausmale, er würde noch hundert Jahre leben und von morgens bis abends arbeiten – wenn er immer Arbeit hätte – und würde hundert Jahre nichts trinken und kein bisschen rauchen und nichts tun als sparen, sparen, sparen – dann könnte er sich in hundert Jahren noch immer nicht so ein Auto kaufen. In tausend Jahren vielleicht.  Aber welcher Mensch wird denn tausend Jahre alt.

Es machte mir Freude, die schönen Autos zu sehen, wie wunderbare blanke rasende Käfer sahen sie von oben aus. Und unten die vielen Leute, die wohl längst schon halb tot vom Warten waren, hatten nun auch Freude, dass ihnen endlich etwas geboten wurde, allerdings konnten ja nur die Vornstehenden was sehen.

Von weitem schwollen Rufe an: Heil Hitler, näher kam der Mengen Ruf herangewellt, immer näher – nun stieg er zu unserem Balkon empor – breit, heiser und etwas müde. Und langsam fuhr ein Auto vorbei, darin stand der Führer wie der Prinz Karneval im Karnevalszug. Aber er war nicht so lustig und fröhlich wie der Prinz Karneval und warf auch keine Bonbons und Sträußchen, sondern hob nur eine leere Hand.

Ein hellblaues Kügelchen rollte aus den dunklen Reihen hervor, auf die Straße, dem Auto entgegen. Das war Bertchen Silias, die zur heutigen Reihendurchbrecherin ernannt worden war, denn oft wünscht der Führer, mit Kindern fotografiert zu werden. Aber diesmal hatte er wohl keine Lust, Bertchen stand als einsamer kleiner Punkt mit einem riesigen Blumenstrauß.

Vorbei war der Führer. SS-Leute umknieten Bertchen, Blitzlicht flammte, es wurde fotografiert. Nun kommt Bertchen vielleicht doch noch in die Zeitung, wenn auch nur mit SS-Leuten statt mit dem Führer. Dadurch wird die Frau Silias einen kleinen Trost haben.

Auf dem langen Balkon des Opernhauses stellten die jetzigen berühmten Männer sich mit Feierlichkeit auf, mit höflichen Verbeugungen gegeneinander, und sie grüßten auch ins Volk.

Sie taten eigentlich nichts Interessantes, aber man durfte sie ansehen.

Gerti meinte, man habe eigentlich nicht viel davon,  solche führende Männer anzusehen, die führenden Männer hätten sicher viel mehr davon, wenn sie von uns allen angesehen würden.

Andererseits waren Damen in unserem Balkon, die freuten sich sehr, dass sie so einen General Blomberg erkennen konnten und Göring, weil er so was Rotes an seiner Jacke hatte – man weiß ja von Fotografien her, dass er immer gern aparte Kostüme trägt. Trotzdem er doch eigentlich schon jetzt so bekannt ist, dass er durch besondere Kleidung nicht mehr auffallen braucht.

Zum Algin kommt manchmal ein junger Mann, der ist Schauspieler und findet kein Engagement und muss durch seine Erscheinung wirken und trägt darum teuerste Krawatten und weithin leuchtende Schweinslederhandschuhe. Der Göring hat aber doch in seiner Art schon ein Engagement. Andererseits kommen ja auch fertige Filmschauspieler nie zur Ruhe und müssen auch immer wieder von neuem dem Publikum das Äußerste an Mode und Glanz bieten. So ein Göring muss sicher dauernd nachdenken, um einem Volk immer Neuigkeiten vorführen zu können. Und dabei müssen diese Männer immer Zeit zum Regieren finden. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie das alles schaffen. Der Führer gibt doch schon allein fast sein ganzes Leben hin, für sein Volk fotografiert zu werden. Man stelle sich nur so eine ungeheure Leistung vor: ununterbrochen sich fotografieren zu lassen mit Kindern und Lieblingshunden, im Freien und in Zimmern – immerzu. Und außerdem ständig mit Flugzeugen zu fahren und in langen Wagneropern zu sitzen, weil das deutsche Kunst ist, für die er sich auch opfert.

Berühmtheit fordert immer Opfer, das habe ich mal in einem Artikel über Marlene Dietrich gelesen. Es heißt ja immer, der Führer würde nur Radieschen essen und Schwarzbrot mit Klatschkäse. Das ist auch ein Opfer für den Ruhm. Die Filmschauspielerinnen aus Hollywood essen manchmal  noch viel weniger, weil sie nicht dick werden dürfen. Und sie trinken und rauchen auch nicht, wegen der Schönheit. Die Liska hungert sich manchmal halb tot, nur um abzunehmen.“…

„Da standen diese Herrschenden nun persönlich auf dem Balkon des Opernhauses. Sie blieben erleuchtet, sonst wurde Nacht. Die Lichter des Platzes wurden gelöscht, damit die Reichswehr zu richtiger Geltung kommen konnte. Denn die hatte blinkende Stahlhelme auf und brennende Fackeln in den Händen, damit tanzte sie zu militärischen Musikklängen eine Art Ballett.“

 

Irmgard Keun, 1905-1982

„Nach Mitternacht“  erschien 1937  zunächst im niederländischen Exil

Ausgabe 1981 im Bastei Lübbe Verlag, S.30-34

 

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