Trauerrede für Hannelore Steffens

Hannelore Steffens, Tochter von Lore Wolf verstarb am 9. Februar 2019 in Frankfurt. Die Trauerrede der VVN-BdA in Gedenken an das Leben von Hannelore Steffens geben wir hier wieder.

 

„Liebe Anja, liebe Annette, liebe Familie,

liebe Anna, lieber Rolf, liebe Freundinnen und Freunde von Hannelore,

 

es gilt Abschied zu nehmen von Hannelore.

Hannelore gehörte zu jener Generation, der die Nazis ihre unbeschwerte Kindheit und Jugend geraubt haben.

 

Wenn wir hier nochmals die Gelegenheit haben, an Lebensabschnitte Hannelores zu erinnern, so werden bei vielen von uns auch Erinnerungen an Hannelores Mutter wach.

So erging es auch uns in Vorbereitung auf unseren heutigen Abschied. Erneut lasen wir in den Erinnerungen von Lore Wolf. Erstmals haben wir die Perspektive gewechselt. Die damalige Zeit aus den Gefühlen und dem Erleben der jungen Hannelore zu verstehen, dabei hat uns der kleine Band von Eva-Maria Kohl „Der Koffer mit dem doppelten Boden“ geholfen. Das kleine Mädchen Johanna ist unschwer als Hannelore zu erkennen; sie hat ihre Erinnerungen Eva-Maria Kohl erzählt.

 

Hannelore wurde am 22. Juni 1925 in Frankfurt geboren, als Tochter des Autosattlers Johann Wolf und dessen Ehefrau Eleonore, geborene Winkler. Ihr Vorname setzt sich aus den Vornamen der Eltern zusammen: Hans und Lore, womit klar war, wessen Kind sie ist.

Die ersten Jahre wohnte die Familie in der Gerlachstraße in Höchst.

 

Nachdem ihre Eltern seit 1926 arbeitslos waren und mit Aushilfsarbeiten und Unterstützung der Großeltern versuchten, über die Runden zu kommen, entschlossen sie sich 1929 in die USA auszuwandern. Dort lebte schon Hannelores Onkel Fritz.

 

Vom September 1931 bis Frühjahr1932 besuchte Hannelore die Roosevelt Elemantary School in Kenmore, Staat New York, danach in Detroit.

 

Die Weltwirtschaftskrise machte ihre Eltern erneut arbeitslos. So ergriffen sie die Gelegenheit, machten aus der Not eine Tugend und bewarben sich zum Aufbau des Automobilwerks Nischni-Nowgorod, nahe Gorki in der Sowjetunion. Mit beitragen zu können zum Aufbau der Sowjetunion, war den Eltern ein Herzensanliegen. In Gorki besuchte Hannelore die englischsprachige Volksschule.

 

Im April 1933 fuhr Hannelore mit ihren Eltern nach Frankfurt. Sie machten sich nach der Machtübertragung an die Nazis große Sorgen um Hannelores Großeltern. Nach einer Woche Zugreise von Gorki am Frankfurter Hauptbahnhof angekommen, wurden sie von der SA empfangen, Pässe, Visa und Rückfahrkarten in die Sowjetunion wurden ihnen abgenommen. So wurde aus dem geplanten Familienbesuch ein Zwangsaufenthalt, verbunden mit der baldigen Illegalität Hannelores Eltern.

 

Bis 1937 besuchte Hannelore die Volksschule in Frankfurt. Getrennt von ihren Eltern, die in die Illegalität gehen mussten, wo sie Widerstand gegen das Naziregime leisteten, Lore im Saargebiet, Hans in der Schweiz, wohnte Hannelore zunächst bei den Wolfs, den Großeltern väterlicherseits, bis der Opa von den Nazis verfolgt und verhaftet wurde. So übernahmen die anderen Großeltern im Riederwald die Betreuung. Sie kümmerten sich liebevoll um ihre Enkelin, jedoch ständig in der Angst lebend, Hannelore könne irgendetwas über ihre Eltern ausplappern. Spätestens da war es mit einer unbeschwerten Kindheit vorbei. Das begann im September 1934 so:

 

«Eigentlich ist es ein ganz normaler Dienstagnachmittag. Das Mädchen Johanna sitzt am Küchentisch und macht seine Schularbeiten. Manchmal blickt es über den Rand seiner Brille zur Großmutter hinüber. Die steht am Bügelbrett und plättet Hemden. Ab und an piepst der Wellensittich in seinem Vogelbauer am Fenster. Die Küchenuhr tickt. Johanna vertieft sich in ihre Aufgaben. Plötzlich schließt die Wohnungstür, Schritte kommen eilig den Flur entlang, die Tür wird aufgerissen. Auf der Schwelle steht Johannas Mutter. „Du?“ sagt Johanna überrascht. „Jetzt schon?“ Die Mutter geht auf sie zu und zieht sie vom Stuhl hoch in ihre Arme. Sie drückt sie heftig an sich. „Mama“, sagt Johanna überrascht, „was ist denn?“

Die Mutter hat ein fremdes Gesicht. Sie sieht die Tochter an, und gleichzeitig sieht sie durch sie hindurch. Die Großmutter hat das Bügeleisen hingestellt und die Hände sinken lassen. „Nun red schon“, sagt sie ungeduldig. „was ist denn los?“

„Ich muss verreisen“, sagt die Mutter und hält sich an der Tischkante fest. Weder Mantel noch Tuch hat sie abgelegt. Sie steht da, als ob sie sofort wieder losrennen will.

„Macht euch keine Sorgen“, sagt sie, „es geht etwas schnell. Aber wir haben damit rechnen müssen, nicht wahr?“ Und leise fügt sie hinzu: „Und jetzt ist es eben so weit.“

Sie geht zur Großmutter und umarmt auch sie. „Bleib ganz ruhig“, sagt sie beschwichtigend. „Mir passiert nichts. Ich schaff das schon.“

„Aber wieso denn“, sagt die Großmutter, „du kannst doch nicht einfach so…“

„Doch“, sagt die Mutter, „jetzt gleich. Wenn Hans kommt, dann sag ihm, die anderen sind wahrscheinlich alle hochgegangen.“

Johanna starrt die Mutter an. Was meint sie? Wer ist hochgegangen? Wohin?

„Mein Schatz, mein Lieberchen“, sagt die Mutter und streichelt ihr über den Kopf. „Mach der Großmutter keinen Kummer. Du bist doch schon ein großes Mädchen.“ Und dann, zögernd, setzt sie hinzu: „Vielleicht bin ich auch bald wieder da.“

Sie drückt Johanna wieder auf den Stuhl und wendet sich zum Küchenschrank. Das Plättbrett versperrt alles, sie muss erst die Wäsche beiseite räumen, um an das Schrankfach zu kommen. Die Großmutter fasst zu und packt die Stapel irgendwohin. Johanna begreift nichts…

„Mein großes Mädchen“, sagt die Mutter. „Alles wird gut, ganz bestimmt!“

Plötzlich bekommt Johanna Angst, riesengroße Angst. „Was soll gut werden?“ schreit sie. „Was denn, was denn nur?“» (Kohl, S.5)

 

Am 30. Januar 1937 flieht Vater Hans mit Hannelore in die Schweiz. Dort lebt sie bei der Familie Rückli, in Aarau, die eine kleine Fabrik für Werkzeugmaschinen betreiben. Sie sind kinderlos und helfen deutschen Auswanderern, vor allem aber Flüchtlingskindern.

 

Schon im März 1937 ist dieses kurze Schweizer Intermezzo vorbei. Über Basel und Genf fährt Hannelore mit dem Zug nach Paris, allein, da ist sie noch nicht mal 12 Jahre alt. In Paris hat die Mutter ein kleines Mansardenzimmer in der Rue de l´Ouest, nicht weit entfernt vom Jardin du Luxembourg, angemietet. Dort leben sie unter ärmlichsten Bedingungen.

 

Dieses Zusammenleben währte nur drei Tage. Welch herbe Enttäuschung für Hannelore und ihre Mutter. Die muss wieder in die Schweiz, ihre illegale Gruppe in Paris ist aufgeflogen. Hannelore kommt zunächst bei Familie Schreiner unter. Von dort geht es weiter in ein trotzkistisches Kinderheim, in dem sich Hannelore sehr wohl und geborgen fühlte.

 

Als kleines Mädchen viel es ihr leicht, die englische Sprache zu erlernen. Nun, in Paris, lernte sie in kürzester Zeit Französisch.

 

Im Frühjahr 1939 kommt die Mutter zurück nach Paris. An Hannelores 14. Geburtstag beziehen sie wieder das Mansardenzimmer.

Hannelore legt erfolgreich ihre Abschlussprüfung ab und besaß nun das „Certificat d’études primaires“. Sie gehörte zu den Klassenbesten. Hannelore geht weiter in die Robinson-Schule, wo sie einen Fortbildungskurs ablegen kann.

Zwischendurch muss die Mutter in einem Rüstungsbetrieb in Nivers arbeiten.

 

In dieser Zeit hilft Hannelore ihrer Mutter, illegale Flugschriften in Paris zu verteilen:

«Am Nachmittag begleitet sie die Mutter zum Markt. „Also, wie abgemacht!“ sagt die Mutter. Johanna nickt. Ihrer beider Aufgaben ist klar. „Kann losgehen“, sagt sie. Sie gehen dicht an den Gemüse- und Fischständen vorbei. Johanna bemerkt, wie die Mutter sich verstohlen immer wieder bückt und etwas in die auf dem Boden abgestellten Einkaufskörbe gleiten lässt. An einem Stand, wo besonders dichtes Gewühl ist, bleiben sie länger. Johanna steht etwas abseits. Die Mutter drängt sich zwischen den Kunden hindurch. Wieder wechseln ein paar der rosa Zettelchen mit der kleingedruckten Schrift ihren Besitzer. Sie gehen weiter und nähern sich den Ständen mit Textilwaren und Bekleidung. „Gleich geschafft“, flüstert die Mutter Johanna zu. … „Schnell!“ sagt die Mutter plötzlich. „Da kommen sie!“

Sie packt Johanna am Arm und zieht sie mit sich. Sie rennen, so schnell sie können, biegen in eine Gasse ab, laufen um eine Häuserecke und wieder in eine Nebenstraße hinein. Die Mutter verlangsamt ihren Schritt, blickt sich ein paarmal um, geht mit normalem Schritt weiter.

„Beinahe!“ sagt sie atemlos und hält noch immer Johannas Arm fest. „Ich bin schuld“, sagt Johanna erschrocken, „ich hab mich nicht umgesehen!“ „Ach was“, sagt die Mutter, „ich glaube, sie kamen von der anderen Seite!“. „Trotzdem“ sagt Johanna, „ich hätte aufpassen müssen.“

Sie ist ganz durcheinander. Um ein Haar wären sie in die Falle gelaufen, … . Sie sagt es der Mutter. „Lass sein“, sagt die Mutter, „wir haben ja Glück gehabt. Und nun komm. Wir versuchen es im Park.“» (Kohl, S.107-109)

 

Welch tiefe Harmonie und Vertrauen Mutter und Tochter verband!

 

Dann am 30. August 1940 geschieht das Schreckliche, was sich bei Hannelore tief in Kopf und Seele eingrub:

«Ich stürze wie üblich, aus der Schule kommend voller Freude die Treppen hinauf. Das Zimmer ist leer. Wieso? Sie müsste doch da sein? Hinunter zur Concierge. Sie hat rot geweinte Augen und schluchzt bei meinem Erscheinen auf. Ich weiß alles, bevor sie zum Sprechen ansetzt. Es ist alles aus. Es ist unfassbar. Es kann nicht sein. Es ist so. Sie haben mir den liebsten Menschen genommen. Und was werden sie ihr antun? Ich hatte Bilder von Misshandelten gesehen und Berichte von Emigranten gehört, ich hatte selbst die Gestapo erlebt. Es war grauenhaft. Mir wurde hinterlassen, ich solle mich bei ihnen einfinden und könne dort meine Mutter sehen. Ich sah sie, bleich, sorgenvoll und doch aufrecht. Nur ein paar Minuten durfte ich bleiben, ein paar Minuten nur, um Abschied zu nehmen, wo ich sie doch nie wieder sehen sollte! Und ich riss mich zusammen und lächelte ihr zu und weinte nicht – und brach draußen vor der Tür zusammen.

Vergessen in der großen Stadt. Wer konnte es wagen, sich um mich zu kümmern, da ich unter Bewachung stand? … Nachts allein im Bett, mutterseelenallein.» (Erinnerungen, S. 3)

 

Die Nazis verschleppten Hannelore nach Deutschland. Doch sie hatte Glück. Den Großeltern gelang es, Hannelore vor dem Heim, das die Nazis für sie vorgesehen hatten, zu bewahren.

Hannelore lebte mit den Großeltern in Ludwigsburg. Sie besuchte eine private kaufmännische Handelsfachschule in Stuttgart und machte im März 1942 die Stenotypistinnenprüfung.

Sie fand eine Anstellung. Bei der Auslandsabteilung der Gestapo in Stuttgart. Das ging natürlich nicht lange gut. Die Nazis merkten, wer Hannelore war. Sie musste sich weiter durchschlagen.

 

Sie arbeitete wieder im arg zerstörten Frankfurt und wohnte in der Eckenheimer Landstraße 162, in der Wohnung der Großeltern.

 

Eines Tages, irgendwann im Winter 1944 auf 1945, holte ihre Tante Luise sie ab. Sie flohen vor den fortwährenden Bombardements auf Frankfurt. Gemeinsam mit Hannelores Cousine Sonja gingen die drei zu Fuß, mit einem Fahrrad für das kärgliche Gepäck, drei Tage lang zur Tante nach Wittgenborn, heute ein Stadtteil von Wächtersbach. Unterwegs erlebten sie einen Bombenangriff auf Langenselbold.

 

Hannelore hielt über diese Zeit bis zur Befreiung im Mai 1945 stets den Kontakt zu ihrer inhaftierten Mutter, egal ob in Frankfurt, Marburg oder Ziegenhain.

Es gelang Hannelore, ihrer Mutter ein Tagebuch zu besorgen, das dickste, was sie auftreiben konnte, 145 Seiten. Ihrer Mutter gelang es, dieses Tagebuch aus dem Zuchthaus in die Freiheit zu retten. 40 Jahre später wurde daraus das Buch „Ich habe das Leben lieb“.

 

Hannelore, zwanzig Jahre alt als der Krieg vorbei war, ging nun ihren Weg.

Im März 1949 macht sie ihr Abitur und begann ein Studium der Kulturwissenschaften in Frankfurt. Das wurde ihr ermöglicht durch ein Stipendium der Stiftung „Arbeiterjugend soll studieren“.

 

Das Studium musste sie krankheitsbedingt im Herbst 1950 abbrechen. Hannelores Körper und Seele forderten endlich die Aufarbeitung dessen, was ihr in ihrer Kindheit und Jugend widerfahren war. Aber es war nicht die Zeit und nicht die Gelegenheit, sich in psychologische Behandlung zu begeben.

 

Hannelore, körperlich wieder genesen, heiratet zu dieser Zeit Karl Tuttas und zieht mit ihm nach Düsseldorf. Dort arbeitet sie bei der illustrierten Zeitschrift „Die Frau von heute“ als Redakteurin bis 1957.

 

1958 zogen sie zurück nach Frankfurt in den Hartmannweg 36.

Hannelore fand zunächst eine Beschäftigung bei Funck und Heyne am Allerheiligentor, später im Schulsekretariat der Musterschule.

 

1960 bewarb sie sich erfolgreich beim S. Fischer Verlag, arbeitete dort als Sekretärin und dann als Sachbearbeiterin in der Werbeabteilung des Verlages.

 

Derweil betrieb sie auch den Kampf um Entschädigung. Erstmals 1950 machte sie ihren Anspruch wegen „Schadens in der Ausbildung“ – so die Amtssprache – geltend. Dieser Anspruch wurde „wegen des Fehlens der Verfolgteneigenschaft“ abgelehnt.

1958 und schließlich 1965 machte Hannelore erneut ihre Ansprüche mit Hilfe der VVN geltend.

 

Am 28. August 1973 – also 23 Jahre nach ihrer ersten Beantragung – erging endlich ein positiver Bescheid. Georg Merle und Karl Schild, als Mitarbeiter der VVN hatten Hannelore vor der Entschädigungsbehörde Wiesbaden erfolgreich vertreten.

 

Dann, am 20. April 1963 ging endlich ihr Kinderwunsch in Erfüllung. Anja erblickte das Licht der Welt.

Anjas Oma und ihre Mutter freuten sich diebisch: es werden an einem 20. April auch gute Menschen geboren. Anja blieb zeit ihres Lebens ihr geliebtes Anjalein.

 

Die Ehe der Tuttas ging auseinander.

1969 heirateten Hannelore und Alfred Steffens. Sie zog mit Anja zu Alfred und seiner Tochter Karin nach Ruppertsheim im Taunus.

Hannelore lebte dort zurückgezogen. Möglich, dass sie versuchte, in dieser Zurückgezogenheit ihr Kindheitstrauma zu verarbeiten…

 

Hannelore hatte große künstlerische Talente, sie malte, war kunstgewerblich geschickt. Sie liebte Musik, sang gerne und hörte leidenschaftlich gerne Beethoven. Sie liebte die französische Sprache. Sie hatte etwas vom Typ der exzentrischen Künstlerin, mal voll Energie, dann wieder zurückgezogen. Eigentlich befähigte sie ihr künstlerisches Talent, aus nichts etwas zu machen. Ihre Gemälde, insbesondere die Porträts beeindrucken, zeugen sie doch nicht nur von ihrem Talent, sondern auch von ihrer Beobachtungsgabe und dem Versuch, den Menschen zu verstehen, den sie da malt. Doch ihr Leben nach ihren Wünschen und Träumen zu gestalten, gelang ihr nicht so recht.

 

Ihre Mutter wusste, was ihrem Kind abverlangt wurde, was sie ihrem Kind abverlangt hat:

«Du, mein Kind, hast ein härteres Leben hinter dir, als ich es in diesem Alter hatte. Immer waren mir Mutter, Vater und Geschwister zur Seite. Nie bin ich allzu einsam gewesen, so, wie du es jetzt sein musst. Vieles, was du mir verschweigst, lese ich zwischen deinen Zeilen. Ich fühle es, wie sehr du deine besten Kameraden, Vater und Mutter vermisst, wie du in der Musik das suchst, was dir die Mitmenschen nicht zu geben vermögen.» (Ziegenhain, S. 78)

 

Sie war hin- und hergerissen zwischen Menschen, Ländern, Sprachen, zwischen der Angst vor dem Verlust lieber Menschen und dem Durst nach Beziehungen. Sie wirkte rastlos zwischen dem Wunsch, Gefühle zu zeigen und zuzulassen und ihrer frühen Erfahrung, Gefühle unterdrücken zu müssen.

 

Hannelore und ihre Mutter verband eine tiefe, innige Liebe. Die Umstände ihrer Leben – Terror und Verfolgung des deutschen Faschismus – erlaubten es ihnen nicht, diese Liebe zu leben. Nach 1945 sehnte sich die Mutter nach ihrem geliebten Kind, sie fand eine erwachsene Frau.

 

Die Mutter schrieb in ihren Tagebuchaufzeichnungen darüber:

«Wie gern denk ich zurück an Zeiten, da du noch ein Kind gewesen bist und deine Hand vertrauensvoll in die deiner Mutter legtest. So bist du immer mit mir gegangen: Hand in Hand durch Freud und Leid, Not und Entbehrung, immer, bis auf den heutigen Tag, je schlimmer das Erlebte war, umso mehr verwurzelten wir ineinander. Und so fest sind die Wurzeln verankert im gegenseitigen Vertrauen, dass nichts sie zu lockern vermag. Unsere Liebe zueinander ist so tief, so groß, dass sie alles überbrückt,  alle Schwierigkeiten überwindet, die Menschenhände zwischen uns aufgetürmt haben.» (Ziegenhain, S. 79)

 

Die Sehnsucht nach einer innigen Beziehung war bei beiden groß. Diese Sehnsucht blieb, es dürstete Hannelore nach Beziehungen.

 

In den 90er Jahren fand Hannelore den Weg zurück aus dem Taunus nach Frankfurt. In der Inheidener Straße fand sie endlich ihre Heimat.

 

Hannelore pflegte ihr Leben lang die Beziehung zu Anna Seghers Sohn Pierre, den sie auf ihren Reisen nach Paris stets besuchte. Diese Freundschaft hielt bis ins hohe Alter. Im vergangenen Jahr gelang es Rolf Heinemann hier in Frankfurt, dass Pierre und Hannelore nochmals zusammen fanden, ihre letzte Begegnung. Ein ergreifender Moment.

 

Wir begegneten Hannelore das eine oder andere Mal bei unseren Veranstaltungen, zuletzt bei der 70 Jahr-Feier der VVN-BdA im Budge-Heim und bei der Eröffnung der Ausstellung „Frauen im Widerstand“ des Studienkreises deutscher Widerstand von 1933-1945 in der Stadtbibliothek. Sie war der VVN-BdA und dem Studienkreis stets verbunden.

 

Hannelore, die kleine, zierliche Person, wirkte bei diesen Begegnungen stets zurückhaltend, wollte oder konnte nie im Vordergrund stehen.

Sie hätte es verdient.

Sie bleibt uns in Erinnerung.“

 

 

Frankfurt, 21.2.2019

Anne Kahn, Norbert Birkwald; für die VVN-BdA

 

 

Quellen:

  • Eva Maria Kohl, Der Koffer mit dem doppelten Boden, Kinderbuchverlag, Berlin, 1984 (Kohl)
  • Lore Wolf, Ich habe das Leben lieb, Weltkreis Verlag, Dortmund, 1983 (Ziegenhain)
  • Erinnerungen von Hannelore Steffens, Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-45, Frankfurt, ohne Jahr, mit Dank an Cora Mohr (Erinnerungen)
  • Und Dank an Anja Bandas, die uns so viele Informationen aus Hannelores Leben gab
  • Schließlich Dank an Bruni Freyeisen, die für den stilistischen Feinschliff sorgte.