22. Juni 2021 – 80. Jahrestag des Überfalls der Deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion

13. Juli 2021

„Vernichtung des Bolschewistischen Weltjudentums“ war das Ziel der deutschen Faschisten in enger Zusammenarbeit mit Industrie und Finanzkapital – nachzulesen seit 1923

Der Zweite Weltkrieg, im Namen des Führers mit breiter Unterstützung aus der Bevölkerung, forderte über 60 Millionen Todesopfer, alleine die Sowjetunion hat über 27 Millionen Tote zu beklagen.

Mit dem Überfall der Deutschen Wehrmacht am 22. Juni 1941 in die Sowjetunion wurde Tür und Tor aufgestoßen, den Untermenschen, die Russen zu vernichten.

Zivilbevölkerung und sowjetische Kriegsgefangene ließ man einfach verhungern, in Konzentrationslagern liquidieren und durch Arbeitseinsätze vernichten. 

Es fällt schwer, mit diesem Hintergrund und der aktuellen Politik, heute hier zu sprechen. Doch es ist für uns selbstverständlich, dass wir aus der Geschichte lernend bereit sind, uns in der Gegenwart für die Zukunft zu engagieren.

Wir können und wollen keine Wiedergutmachung mit diffusen und scheinheiligen  Aktionen der „Schuld-Entlastung“ mitbetreiben. 

Wir  arbeiten  gegen das Vergessen, gegen Völkermord und Krieg

Das heißt auch: aktuell allen Hochrüstungs- und Kriegstendenzen, vor allem gegen Russland, entgegenzutreten. 

Es langt nicht, dass endlich nach 80 Jahren hochrangige Politiker in Berlin das Verbrechen vom 22. Juni 1941 verurteilen. 

Eine konkrete Friedenspolitik muss entwickelt und umgesetzt werden, damit kein Mensch mehr Angst vor Krieg, Faschismus, Vernichtung und Verfolgung haben muss. 

1962, wir waren auf der Rückreise von Helsinki und wurden auf dem Bahnhof in Leningrad von einer betagten Sowjetbürgerin herzlich begrüßt. Sie nahm uns in den Arm und sagte unter Tränen: „Ich bin glücklich so viele junge deutsche Menschen hier zu sehen. 

Ich habe als Einzige aus der Familie hier in Leningrad überlebt. 

Ihr seid für mich, seid für uns, die beste Wiedergutmachung. Ihr gebt uns Kraft und Hoffnung für das Weiterleben – und, dass deutsch nicht gleich Faschismus ist.“ 

Am 24. Oktober 1964 wurde das Denkmal an der Rückseite der Paulskirche mit einer Feierstunde in der Paulskirche der Öffentlichkeit übergeben.

Der Stadtverordnetenvorsteher Kraft sagte damals: „Die Mörder sind heute noch unter uns“. „Wir sind mit dieser Vergangenheit noch nicht fertig“. 

Wie wahr – auch 2021. 

Ich lese jetzt, stellvertretend für die Millionen Geächteten, Gequälten und Ermordeten das Schicksal der „Fremdarbeiterin“ Valentina Archipowa.

Die meisten ausländischen Frauen und Männer mußten in der deutschen Industrie arbeiten. Andere wurden in der Landwirtschaft eingesetzt, um die eingezogenen deutschen Arbeiter zu ersetzen. Eine von den Frauen, die auf Bauernhöfen arbeiten mußten, war Valentina Archipowa.

Valentina Archipowa, geborene Wolkowa, wurde am 17. Mai 1919 in Saratow in der Sowjetunion geboren. 1935 heiratete sie in Stalingrad Michael Archipowa, den sie als Schaffnerin bei der Eisenbahn kennengelernt hatte.

Sie hatte zwei Kinder. Am 27. April 1942 unterschrieb sie eine Arbeitsverpflichtung für das faschistische Deutschland. Sie war zu der Zeit von ihrer Familie getrennt und hatte keine Möglichkeit, zu ihr zurückzukehren, da der Krieg ausgebrochen war. Valentina Archipowa kam am 4. Mai 1942 mit einem „Ostarbeitertransport“ nach Frankfurt am Main und wurde sofort der Witwe Rosina Bayer als Zwangsarbeiterin zugeteilt. Mehr als ein Dutzend Ostarbeiterinnen arbeiteten in dem Stadtteil Sindlingen, zumeist in der Landwirtschaft und ihre Versorgung mit Textilien war, wie bei allen Ostarbeitern i Deutschland, völlig unzureichend.

Bei einem Angriff in der Nacht vom 12. Zum 13. August 1942 verwüstete eine Brandbombe das Haus der Frau Bayer. Valentina Archipowa half mit, den Brand zu löschen, bei dem vermutlich ein großer Teil an Gegenständen der Frau Bayer verbrannten. Am darauffolgenden Tag fand Valentina Archipowa unter dem Schutt, der im Hof zurückgeblieben war, 2 Meter angebrannten Damast und 1 Meter Linon Stoff. Sie versteckte die Stoffe und nahm sie mit, als sie kurze Zeit später auf einen anderen Bauernhof wechselte. Dort tauschte sie den Stoff bei einem Polen, der ebenfalls auf einem Bauernhof arbeitete, gegen einen gebrauchten Mantel ein.

Der stellvertretende Ortsgruppenleiter, Hans Berninger, erfuhr durch einen Zufall von dem Tausch und erstattete gegen die 23 jährige Valentina Archipowa Anzeige wegen Diebstahlsverdacht. Valentina Archipowa wurde verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Ihr wurde ein weitaus größerer Diebstahl und ein einträgliches Geschäft mit weiteren Wäschegegenständen der Witwe Bayer angelastet.

Im Schlußbericht der Gestapo vom 2. November 1942 war dann zum ersten Mal die Rede von „Plünderung“. (Auf Plünderung stand nach der „Volksschädlingsverordnung“ der Tod).

Die Gestapo, deren Sitz in der Lindenstraße 27 war, „verhörte“ Valentina Archipowa, wohl in der Hoffnung, etwas mehr herauszuholen als Plünderung von 2 Meter Stoff. Valentina Archipowa blieb bei ihrer Aussage, daß sie aus einem verbrannten Stoffballen ein noch verwendbares Stück herausgetrennt habe, zusätzlich zu einem Meter Hemdstoff.

Die Methoden der „Vernehmung“ sind bekannt. Im Protokoll der Gestapo vom 29. April 1943 heißt es: „Vernehmung mußte wegen Unwohlsein der Archipowa abgebrochen werden“.

Am 21. Juli 1943 fand die Verhandlung des Frankfurter Sondergerichtes statt. Der Assessor Pütz beantragte die Todesstrafe.

Das Urteil lautete: 

„Im Namen des deutschen Volkes! Die Angeklagte hat am 13. August 1942 in Frankfurt-Sindlingen nach einem Fliegerangriff geplündert und mindestens 2 m Damast sowie 1 m Linon gestohlen. Sie wird deshalb als Volksschädling zum Tode verurteilt. Die bürgerlichen Rechte werden ihr auf Lebenszeit aberkannt.“ (Sondergerichtsakte 86/43).

Der Pflichtverteidiger Valentina Archipowas reichte ein Gnadengesuch ein. Nach 6 Wochen Wartezeit in der Todeszelle erfährt Valentina Archipowa, daß das Gnadengesuch abgelehnt wurde. Fünf Stunden später wurde sie in der Haftanstalt Preungesheim hingerichtet.“

Quelle „Frauen und Frankfurt“ von Barbara Bromberger und Katja Mausbach, S. 79/80.

Wir werden sie nie vergessen: Ehrenpräsidentin Esther Bejarano gestorben

10. Juli 2021

von: https://vvn-bda.de/wir-werden-sie-nie-vergessen-ehrenpraesidentin-esther-bejarano-gestorben/

Heute Nacht ist unsere Ehrenpräsidentin Esther Bejarano ruhig und friedlich eingeschlafen.

Wir alle kannten Sie als eine Frau von großer Entschiedenheit und geradezu unglaublichem Elan, die viele von uns noch bis vor kurzem auf der großen Bühne erleben durften. Zuletzt saß sie am 8. Mai auf unserer kleinen Bühne im Hamburger Gängeviertel und erzählte von ihrer Befreiung am 3. Mai 1945 durch Soldaten der Roten Armee und der US-Armee, die kurz nacheinander in der kleinen Stadt Lübsz eintrafen. Dort hatte Esther mit einigen Freundinnen aus dem KZ Ravensbrück Unterschlupf gefunden, nachdem sie gemeinsam dem Todesmarsch entflohen waren.

Wenige Tage zuvor, am 3. Mai, den sie ihren zweiten Geburtstag nannte, hat Esther sich noch mit einer Video-Botschaft zum Tag der Befreiung an uns alle gewendet. Darin bezog sie noch einmal deutlich Stellung zu aktuellen Auseinandersetzungen in der Stadt Hamburg und im ganzen Land. Obwohl sie dabei schon im Rollstuhl saß, waren ihre Worte klar und ihre Stimme kräftig:

https://www.auschwitz-komitee.de/5249/esther-bejarano-wir-sind-da-meine-befreiung-im-mai-1945-und-meine-hoffnungen/

Wir verdanken Esther viel; sie war immer da, wenn wir sie brauchten.

Als 1990 zum ersten Mal ein Bundessprecher:innenkreis gewählt werden sollte und dafür Personen gesucht wurden, die Tradition und „Neuanfang“ verkörperten, stand sie dafür zur Verfügung und wurde eine unserer ersten Bundessprecherinnen in einer Zeit, in der wir der Diffamierung des Antifaschismus als „diskreditiert“ und „überkommen“ entgegentreten mussten. Sie hat einen großen Anteil daran, dass das gelungen ist.

Zum 50. Geburtstag der VVN richtete sie zusammen mit Peter Gingold einen bewegenden „Appell an die Jugend“:

https://perlavitamovie.files.wordpress.com/2013/08/appell-an-die-jugend-vers-2005-esther-bejarano-und-peter-gingold-doc.pdf

Als im November 2019 das Finanzamt für Körperschaften in Berlin unsere Gemeinnützigkeit bestritt, schritt sie mit ihrem flammenden Appell an Olaf Scholz „Das Haus brennt und Sie sperren die Feuerwehr aus“ ein und verbreiterte die öffentliche Debatte. Damit hat sie wesentlich zu unserem Erfolg in dieser Auseinandersetzung beigetragen.

Nun ist die unermüdliche „Zeitzeugin“ gegen Vergessen des historischen und Verharmlosen des aktuellen Faschismus, Mahnerin und Kämpferin für Menschenrechte, Frieden und eine solidarische Gesellschaft von uns gegangen. Sie wird uns fehlen, vielen von uns auch als verlässliche Freundin.

Wir denken ans sie in Dankbarkeit, Trauer und Liebe.

Nehmen wir ihre letzte öffentliche Botschaft als Vermächtnis und arbeiten wir weiter daran, dass der 8. Mai endlich auch in Deutschland ein Feiertag wird, so wie sie es in ihrer Rede am 3. Mai noch einmal vorgetragen hat:

„Ich fordere: Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschla­gung des NS-Regimes. Am 8. Mai wäre dann Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit.“

75 Jahre VVN – Open-Air-Veranstaltung der hessischen VVN-BdA in Kooperation mit der Brotfabrik – Kulturprojekt 21 e. V.

4. Juli 2021

Rede von Dr. Ulrich Schneider zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion

29. Juni 2021

Wenn wir heute aus deutscher Perspektive an den Überfall auf die Sowjetunion, den so genannten „Fall Barbarossa“ erinnern, dann müssten wir über viele Aspekte sprechen:

Über die Kriegsvorbereitung, über die verbrecherische Durchführung mit ihren Kriegsverbrechen, die Behandlung der Kriegsgefangenen und die Ausplünderung der Sowjetunion, der besondere Charakter dieses Krieges als ideologisch legitimierter Vernichtungskrieg gegen den „jüdischen Bolschewismus“ bis zum Prinzip der „verbrannten Erde“ beim von der Roten Armee erzwungenen Rückzug.

Aus diesen vielen Perspektiven möchte ich nur drei herausgreifen, die m.E. in der öffentlichen Debatte in der Regel zu kurz kommen.

„Vergessen“ wird in aller Regel, dass schon das zaristische Russland in der Expansionsplanung der aggressivsten Kräfte im Kaiserreich, beim „Alldeutschen Verband“, eine zentrale Rolle gespielt hat. So gehörte schon damals aus deren Sicht  das gesamte Baltikum bis Sankt Petersburg zur originären deutschen Herrschaftszone. Während die Schwarzerde-Region der heutigen Ukraine als erweiterte „Kornkammer“ des Deutschen Reiches angesehen wurde. Man sieht also, geostrategische Ziele und Begründungen der faschistischen Aggression waren schon Jahrzehnte auf der Agenda des deutschen Imperialismus bei seinem Griff nach der Weltmacht.

Adolf Hitler reproduzierte in seinen Großmachtvorstellungen, wie er sie 1924 in „Mein Kampf“ niederschrieb, eigentlich nichts anderes, als was durch die politisch und ökonomisch einflussreichen Kräfte des kaiserlichen Deutschlands längst vorgedacht war. Er ergänzte diese Überlegungen jedoch – mit Blick auf die revolutionäre Entwicklung in Russland und den Aufbau der Sowjetunion – um die antibolschewistische Komponente, die bei ihm und in der Ideologie der faschistischen Bewegung insgesamt in dem Feindbild der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ zusammenlief, deren Hort das „Weltjudentum“ und die Sowjetunion war.

Allein schon deshalb war es für die faschistische Herrschaft prinzipiell ausgeschlossen, zu einer Verständigung mit der UdSSR zu kommen, die ein gemeinsames Arrangement bezogen auf die Einflussverteilung in der Welt ermöglicht hätte.

Wer so etwas behauptet – und die Gleichsetzung von Hitler und Stalin bzw. des faschistischen Deutschland und der Sowjetunion war in der Zeit des Kalten Krieges in den 1950er und 1960er Jahre in unserem Land durchaus propagandistischer Standard, sie zeigt sich jedoch auch jüngst in der Erklärung des Europäischen Parlaments vom 19. September 2019 ,  wer also so etwas behauptet, der ignoriert bewusst die historischen Fakten und versucht, die politische Verantwortung für die faschistische Aggression quasi „gleichmäßig auf beide Seiten“ zu verteilen.

Wer die historischen Fakten ernsthaft betrachtet, kann gar nicht anders, als festzustellen, dass es beim Überfall auf die Sowjetunion um eine Expansion im Sinne langfristiger Kriegszielplanung des deutschen Faschismus/ Imperialismus ging.

Auch ein zweiter Fakt wird in der öffentlichen Erinnerung gerne „vergessen“:

Nach den militärischen Erfolgen der deutschen Wehrmacht gegen Polen, in Skandinavien und an der Westfront gab Adolf Hitler für die Reichsregierung am 21. Juli 1940 die Weisung zur Erarbeitung einer Angriffsplanung gegen die Sowjetunion an die Wehrmachtsführung. Das war gerade einmal ein Jahr nach dem Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, der bekanntlich im September 1939 durch einen „Freundschaftsvertrag“ ergänzt worden war. Es wäre ein eigenes Thema, über diesen Vertrag und sein Zustandekommen zu sprechen, aber aus der Sicht der Sowjetunion war es allein eine strategische Option, die von dem Denken geprägt war, „Wer per Handel die Waren bekommt, die er benötigt, der wird dafür keinen Krieg führen.“ Wie illusionär diese Überlegung der sowjetischen Außenpolitik war, mussten die Menschen in der Sowjetunion ab Sommer 1941 grausam erleben.

Schon Anfang Dezember 1940 fand eine Beratung der Reichsregierung mit der Generalität zur Ausgestaltung der Kriegsplanung gegen die Sowjetunion statt, bevor am 18. Dezember 1940, also ein halbes Jahr vor dem eigentlichen Überfall der Plan „Unternehmen Barbarossa“ vorgelegt werden konnte.

Speziell für diesen Feldzug wurden „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Russland“ verfasst, mit denen die einzelnen Soldaten und örtlichen Kommandeure nicht nur Handlungsfreiheit erhielten, sondern aktiv zu Kriegsverbrechen aufgefordert waren. Wörtlich heißt es in dem „Straffreiheitserlass“ vom 13. Mai 1941: „Dieser Kampf verlangt rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden und restlose Beseitigung jeden aktiven und passiven Widerstandes … gegenüber allen Angehörigen der Roten Armee – auch den Gefangenen – ist äußerste Zurückhaltung und schärfste Achtsamkeit geboten, da mit heimtückischer Kampfweise zu rechnen ist. Besonders die asiatischen Soldaten der Roten Armee sind undurchsichtig, unberechenbar, hinterhältig und gefühllos.“ Diese rassistischen Anweisungen kamen nicht aus dem Propagandaministerium, sondern stammten aus der Feder der Wehrmachtsführung.

Eine wichtige Rolle spielte der von General Wilhelm Keitel unterzeichnete „Kommissar-Befehl“ vom 6. Juni 1941, also ebenfalls vor Beginn der Aggression. In den Strukturen der Roten Armee gab es eine Gruppe von Polit-Offizieren, so genannten „politischen Kommissare“, die laut Anweisung der Wehrmachtsführung nicht als Kriegsgefangene zu behandeln seien. Sie seien bereits an der Front zu töten. Wurden sie erst später entdeckt, verbrachte man sie zur Liquidierung in die Konzentrationslager. Allein im KZ Buchenwald ermordete die SS in der Exekutionsanlage im „Pferdestall“ über 8000 sowjetische Kriegsgefangene, die als Häftlinge in das Lager verschleppt worden waren, auf der Grundlage des „Kommissar-Befehls“.

Dieser Überfall  war ursprünglich bereits für das Frühjahr 1941 geplant. Der Krieg auf dem Balkan, der mit dem Eingreifen der Wehrmachtseinheiten im April 1941 gegen das Königreich Jugoslawien und anschließend gegen Griechenland einen weiteren Kriegsschauplatz an der südlichen Flanke militärisch eröffnete, führte dazu, dass der Überfall tatsächlich erst am 22. Juni 1941 erfolgte.

Allein diese Chronologie der Kriegsvorbereitung verweist alle Erzählungen von geschichtsrevisionistischen Kreisen, dass Hitler nur einem unmittelbar bevorstehenden Angriff der sowjetischen Truppen zuvorgekommen sei (die so genannte „Präventivschlag-These“, die übrigens schon von der faschistischen Propaganda selber verbreitet wurde), ins Reich der Legenden. Nein, dieser Krieg war von Seiten des deutschen Faschismus ideologisch und praktisch lange geplant und vorbereitet worden.

Ein dritter Aspekt, der in der öffentlichen Debatte nur unzureichend behandelt wird, sind die faschistischen Kriegsziele, die Zerschlagung der Sowjetunion, die wirtschaftliche Ausplünderung und die Ermordung von Millionen Menschen als Teil des „Vernichtungskrieges“.

Bei der Aufspaltung der Sowjetunion bediente man sich der nationalistischen Kräfte in diesem Vielvölkerstaat. Ansatzpunkte fanden die deutschen Faschisten bei den baltischen Nationalisten, bei den ukrainischen Bandera-Nationalisten und bei den verschiedenen Völkern im Kaukasus, die nicht nur hofften, einen eigenen Teil vom „Kuchen“ zu erhalten, sondern sich auch als Freiwillige der SS-Einheiten in den antibolschewistischen Kampf einbinden ließen. Dass der deutsche Faschismus – nach dem Endsieg – keinesfalls Unabhängigkeitsrechte einzuräumen bereit war, ist bekannt.

Bei der Ausplünderung ging es – wie in der Kriegsplanung und bereits in Hitlers „Mein Kampf“ ganz offen ausgesprochen – um die Rohstoffreserven der UdSSR, um die Weizenfelder und Agrarprodukte der ukrainischen Schwarzerde-Region, um die Öl- und Gasvorkommen im Kaukasus, um Eisenerz und die industriellen Kapazitäten in den westlichen Republiken der Sowjetunion. All das wurde in der Planung zum „Fall Barbarossa“ bereits als Ressource eingeplant, um den Krieg gegen die UdSSR überhaupt führen zu können. Das nach Osten vorrückende Millionenheer sollte sich aus den Vorräten der örtlichen Bevölkerung versorgen und damit den dort lebenden Menschen die Lebensgrundlage nehmen. Schon dies zeigt, in welchem Umfang dieser militärische Einsatz von Anfang an ein Vernichtungskrieg gegen die „slawischen Untermenschen“ sein sollte.

In eine gemeinsame Form gegossen wurde diese Ausplünderung im „Generalplan Ost“, der als „genozidales Langzeitprojekt“ (Dietrich Eichholz) der faschistischen Kriegsplanung anzusehen ist. Es ging dabei um die geplante Ostkolonisation mit germanischen Siedlungsgebieten („Lebensraum im Osten“), um eine Massenvertreibung und Vernichtung von bis zu 50 Mio. Menschen aus den betreffenden Gebieten und den Einsatz der Verbliebenen als Zwangs- und Sklavenarbeiter.

Der dritte Aspekt war die gezielte Vernichtung jüdischer Menschen, von Sinti und Roma sowie „slawischer Untermenschen“ in den okkupierten Gebieten. Noch hatte die Wannsee-Konferenz, auf der die Massenvernichtung besprochen wurde, nicht stattgefunden (20.1.1942), aber das politische Ziel der Vernichtung aller jüdischen Menschen war bereits in den Köpfen aller Verantwortlichen präsent. Schon die ersten Wochen des Überfalls auf die Sowjetunion waren begleitet von zahlreichen Massenmorden, die teilweise gemeinsam mit örtlichen Kollaborateuren durchgeführt wurden. Im Wald von Rumbula ermordeten lettische Hilfspolizei und deutsche Einsatzgruppen-Einheiten 1941 über 15.000 jüdische Menschen. Im ukrainischen Lviv (Lemberg) verübten Wehrmacht und Bandera-Kollaborateure schon Ende Juni 1941 erste Massenmorde. Das wohl bekannteste Massaker ereignete sich Ende September 1941, als die Wehrmacht zusammen mit den Einsatzgruppen, unterstützt durch ukrainische Hilfspolizisten etwa 33.000 Kiewer Juden aus der Stadt zusammentrieben und in der Schlucht von Babyn Jar erschossen. Und das waren nur die bekanntesten Beispiele.

Insgesamt summierten sich die Morde an der Zivilbevölkerung im Zuge des „Russland-Feldzuges“ auf etwa 20 Mio. Opfer, zu denen nicht zuletzt die über eine Mio. Opfer der 900tägigen Blockade von Leningrad gehörten. Hinzu kommen noch etwa 7 Mio. Angehörige der sowjetischen Streitkräfte.

Vollkommen zu R echt wird im politischen Deutschland darauf verwiesen, dass die Ermordung von 6 Millionen europäischer Juden in den deutschen Vernichtungslagern aus rasse-ideologischen Gründen die Grundlage für eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und die „Staatsräson“ gegenüber dem Staat Israel bilden müsse.

Was gegenüber dem Staat Israel gilt, scheint aber gegenüber den ebenfalls aus rasse-ideologischen Gründen ermordeten über 20 Mio. sowjetischen Zivilisten keine Gültigkeit zu haben. Wir erinnern uns, dass es fast 50 Jahre dauerte, bis diese Gesellschaft bereit war sich mit den Wehrmachtsverbrechen unter der Überschrift „Vernichtungskrieg“ ernsthaft zu beschäftigen. Ihr alle erinnert euch, wie damals Geschichtsrevisionisten und Apologeten der Wehrmacht dagegen hetzten, so auch während der Ausstellung damals hier in der Frankfurter Paulskirche.

Für mich bedeutet jedenfalls die Erinnerung an den 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion, dass unsere Gesellschaft und Politik Verantwortung und eine „Staatsräson“ gegenüber den Nachfolgestaaten der Sowjetunion besitzt. Und das bedeutet, dass nicht kalter Krieg und politische Abgrenzung sondern Dialog, nicht Konfrontation und Verschärfung der militärischen Spannung, sondern gemeinsame Sicherheitspolitik das Verhältnis der Staaten zueinander prägen müssen.

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