Was weiße Menschen über Rassismus wissen sollten

5. Juli 2020

Nicht schon wieder, denken Sie sich? Sollten sich Flüchtlinge in Deutschland nicht lieber dankbar zeigen, als sich darüber zu mokieren, hin und wieder schief angeschaut zu werden? In den USA ist das Problem viel größer? Sie selbst sind ja kein*e Rassist*in? Sie unterscheiden Menschen nicht nach Hautfarben, und finden Nelson Mandela toll? Nur ein paar Ewiggestrige denken noch rassistisch, das Problem löst sich mit der Zeit von selbst?

Immer wieder kommt es auch in Deutschland zu gesellschaftlichen Diskussionen über Rassismus und Fragen, inwieweit die hiesige Bevölkerung, die Polizeien, Wohnungsvermieter oder der Arbeitsmarkt rassistisch sind. Nach einem kurzen Aufschrei wird das Problem dann von Leuten, die es nicht verstanden haben, kleingeredet, schließlich einigt man sich auf kosmetische Maßnahmen und beglückwünscht sich zur eigenen Fortschrittlichkeit. Man hat ja schließlich aus der eigenen Geschichte gelernt, anders als der Rest der Welt!

Oder?

Was ist Rassismus, und was nicht?

Diese Diskussionen, jüngst wiederbelebt infolge des rassistischen Polizeimords an George Floyd in Minneapolis, kranken in Deutschland vor allem an zwei Dingen: 1. dem Unvermögen oder dem Unwillen der meistenweißen Deutschen, zu verstehen, was Rassismus ist (und was nicht), 2. dem Unwillen, Leuten zuzuhören, die von Rassismus betroffen sind. Beide Punkte hängen zusammen.

“Selten fühlen sich weiße Menschen so angegriffen, allein und missverstanden wie dann, wenn man sie oder ihre Handlungen rassistisch nennt”, schrieb die Afrodeutsche Autorin Alice Hasters am 3.6.2020 im Tagesspiegel. Weiße Menschen hätten so wenig Übung darin, mit ihrem eigenen Rassismus konfrontiert zu werden, dass sie meist wütend reagierten, wenn ihnen Rassismus vorgeworfen würde. “Das liegt auch daran, dass Menschen eine einseitige Vorstellung davon haben, was Rassismus ist.”

Wir alle haben Vorurteile, das ist zunächst menschlich. Wichtig ist, dass wir diese Vorurteile erkennen und reflektieren. Niemand ist Nicht-Rassist: Wir sind entweder Rassisten oder Antirassisten. Rassist ist, wer sich über seine Vorurteile nicht im klaren ist. Antirassist ist, wer seine Vorurteile analysiert und aktiv daran arbeitet, sie aus dem eigenen Denken zu verdrängen – und gegen systemischen Rassismus kämpft. Zu behaupten, man selbst sei kein Rassist, genügt nicht! Wer das von sich sagt, hat das Problem schlicht nicht verstanden.

Warum Weiße keine Opfer von Rassismus sein können

Rassismus wird in Deutschland oft als eine rein individuelle Haltung gesehen, zudem oft nur als offener Hass oder Verachtung. “Doch Rassismus ist ein Problem, dass mit der Absicht entstanden ist, eine
bestimmte Weltordnung herzustellen”, so Alice Hasters. Sie illustriert das mit einem Beispiel: Würde jemand glauben, Schwarze seien von Natur aus Weißen überlegen, sei das theoretisch ein rassistischer Gedanke – praktisch aber wirkungslos. Glaube jemand hingegen, Weiße seien Schwarzen überlegen, füttere diese Vorstellung ein ohnehin bestehendes, jahrhundertealtes System.

Tatsächlich entstand der Gedanke, Weiße seien Schwarzen überlegen, erst mit dem Beginn des transatlantischen Sklavenhandels und der europäischen Kolonisierung Afrikas – als Rechtfertigung für die brutale Ausbeutung Schwarzer Menschen. Europas Reichtum basiert auf der Ausplünderung Afrikas. Die endete auch nicht zusammen mit dem offenen Kolonialismus, sondern läuft bis heute.

Ein Beispiel: Verantwortlich für die Klimakatastrophe sind zuvorderst Europa und Nordamerika. Während beide Kontinente von der Ausbeutung fossiler Energie besonders profitierten, zeigen sich die Auswirkungen dieses rücksichtslosen Umgangs mit der Natur in Afrika noch stärker als in den Ländern der Hauptverantwortlichen. Ein zweites Beispiel: Ihr Smartphone wäre teurer, würde es in Europa ordnungsgemäß recycelt, statt Müllkippen in Ghana (und vor allem die Menschen, die darauf arbeiten) zu verseuchen!

Was können Sie tun?

Reflektieren Sie Ihr Verhalten: Haben Sie schon einmal einen Schwarzen Menschen gefragt, woher er kommt? Bekommen Sie Angst, wenn Ihnen jemand über den Weg läuft, der “fremd” aussieht? Sind Sie überrascht, wenn eine Frau mit Kopftuch akzentfreies Deutsch spricht? All das sind Beispiele für alltagsrassistische Mikroaggressionen. Sie denken sich nicht viel dabei, aber Sie sind auch nicht die/der Einzige: Ihr Opfer mag den
Schmerz im Einzelfall gut aushalten, in der Summe solcher Erfahrungen bleibt unerträglicher Schmerz.

Wenn Ihnen jemand Rassismus vorwirft: Schlucken Sie Ihren Abwehrreflex herunter und hören Sie zu. Versuchen Sie zu verstehen, warum sich Ihr Gegenüber von Ihnen abgewertet fühlt. Nutzen Sie die Gelegenheit, dazuzulernen und sich weiterzuentwickeln! Wer Opfern von Rassismus abspricht, sich wehren zu dürfen, lügt Täter zu Opfern um.

Dieser Text wurde als Flyer am Samstag, 4. Juli 2020 in Limburg verteilt. Geschrieben wurde er vom Bündnis Courage Dietz/Limburg. Wer sich für die Arbeit des Bündnisses Courage interessiert, schickt eine Mail an: Buendnis-Courage@t-online.de . Mehr zum Bündnis Courage: https://buendnis-courage.de/